Verwirkung von Ansprüchen und Forderungen – Unterfall des § 242 BGB

Das Wichtigste zur Verwirkung, § 242 BGB

Was bedeutet Verwirkung?

Die Verwirkung ist quasi die Schwester der Verjährung und ein wichtiger Anwendungsfall des § 242 BGB, genauer gesagt der unzulässigen Rechtsausübung. Danach darf der Gläubiger sein Recht nicht mehr geltend machen, wenn dies gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

Wann ist ein Anspruch verwirkt?

Der Gläubiger verwirkt sein Recht, wenn er längere Zeit untätig bleibt und beim Schuldner dadurch den Eindruck erweckt, dass er seinen Anspruch nicht mehr geltend machen werde. Das Rechtsinstitut der Verwirkung schützt dieses Vertrauen des Schuldners darin, dass der Gläubiger sein Recht nicht mehr durchsetzen will. Dafür reicht aber ein bloßer Zeitablauf nicht aus, wie wir an dieser Stelle genauer erläutern. Schuldner sollten deshalb nicht davon ausgehen, dass sie mithilfe der Verwirkung Schulden abbauen können.

Was ist der Unterschied zwischen Verjährung und Verwirkung?

Die Verjährung ist eine Einrede, auf die sich der Schuldner ausdrücklich berufen muss. Der Gläubiger kann seine Forderung dann nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr durchsetzen. Die Verwirkung muss das Gericht von Amts wegen berücksichtigen. Für sie reicht der bloße Zeitablauf aber nicht aus.

Verwirkung: Bedeutung & Definition

Ein Anwendungsfall des § 242 BGB ist die Verwirkung.
Ein Anwendungsfall des § 242 BGB ist die Verwirkung.

In § 242 BGB heißt es: „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“

Eine sehr schwammige Formulierung, die jedem Recht sozialethische Schranken setzen soll und die immer dann zur Anwendung kommt, wenn die Durchsetzung eines Rechts zu unzumutbaren Ergebnissen führen würde.

Einfach ausgedrückt: § 242 BGB greift überall dort, wo ein Rechtsmissbrauch droht. Über Jahre, Jahrzehnte hinweg hat die Rechtsprechung hierzu zahlreiche Anwendungsfälle entwickelt. Die Verwirkung ist eine davon. Sie schützt den Schuldner vor einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger, wenn dieser über einen langen Zeitraum nichts unternommen hat, um seinen Anspruch durchzusetzen, und wenn der Schuldner deshalb darauf vertrauen durfte, dass der Gläubiger seine Forderung nicht mehr geltend machen wird.

Wir erinnern uns an: § 242 BGB regelt den Grundsatz von Treu und Glauben. Bei der Verwirkung steht der „Glauben“ im Vordergrund – das schutzwürdige Vertrauen des Schuldners daran, dass er nicht mehr leisten muss. Allerdings kommt die Verwirkung lediglich in Ausnahmefällen zur Anwendung und nur unter strengen Voraussetzungen.

Voraussetzungen der Verwirkung: Zeit- und Umstandsmoment

Unter welchen Bedingungen kann ich eine Forderung wegen Verwirkung abwehren?
Unter welchen Bedingungen kann ich eine Forderung wegen Verwirkung abwehren?

Eine Verwirkung von Forderungen kommt nur in Betracht, wenn der Gläubiger über längere Zeit nichts unternimmt, um seine Forderung geltend zu machen und durchzusetzen. Dieser Zeitablauf allein reicht aber nicht aus.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Zeitmoment: Obwohl er könnte, macht der Gläubiger längere Zeit gar nichts, um seinen Anspruch durchzusetzen. Plötzlich macht er doch sein Recht geltend.
  2. Umstandsmoment: Es treten besondere Umstände hinzu, die diese verspätete Geltendmachung als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, weil der Schuldner aufgrund des Verhaltens des Gläubigers davon ausgehen durfte, dass er seinen Anspruch nicht mehr geltend machen werde. Außerdem muss sich der Schuldner aufgrund dessen so eingerichtet haben, „dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde“ (BGH, VII ZR 23/02).

Viele Ansprüche unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. In solchen Fällen kommt eine Verkürzung dieser Frist durch Verwirkung nach der Rechtsprechung des BGH nur ausnahmsweise in Betracht, weil der Gläubiger innerhalb dieser drei Jahre die Möglichkeit haben soll, genau zu überlegen und zu prüfen, ob er seinen Anspruch gelten machen will.

Beispielfälle: Wann Rechte verwirkt sein können

Die Verwirkung kommt vor allem im Zivilrecht bzw. Bürgerlichen Recht zur Anwendung, insbesondere im Kaufrecht, Mietrecht, Werkvertragsrecht, aber auch im Erb- und Familienrecht sowie im Arbeitsrecht.

Die Verwirkung gilt im Verwaltungsrecht ebenfalls, z. B. im baurechtlichen Streit zwischen zwei Nachbarn.
Die Verwirkung gilt im Verwaltungsrecht ebenfalls, z. B. im baurechtlichen Streit zwischen zwei Nachbarn.
  • Ein Vermieter behandelt die gezahlten Betriebskostenvorschüsse über mehr als zehn Jahre wie feste Pauschalen, mit denen der Betriebskostenanspruch voll abgegolten ist. Plötzlich will er für die abgelaufenen Zeiträume Betriebskostenforderungen geltend machen. Hier durfte der Mieter aufgrund der Pauschalen aber darauf vertrauen, dass der Vermieter keine weiteren Forderungen mehr geltend macht. Damit hat der Vermieter sein Recht verwirkt.
  • Auch beim Trennungsunterhalt ist eine Verwirkung denkbar – etwas in diesem Fall: Ein Ehepaar trennt sich nach 30-jähriger Ehe. Die von ihrem Mann getrennt lebende Ehefrau verlangt von ihrem Gatten Trennungsunterhalt. Diesen Unterhaltsanspruch verwirkt sie allerdings dadurch, dass sie ihrem Mann vorsätzlich ein Kind als sein eigenes unterschiebt, dass aus einem außerehelichen Geschlechtsverkehr hervorgeht.
  • Das OLG München hat entschieden, dass eine Bank ihre noch bestehende Restforderung verwirkt, wenn sie „nach der nach der Verwertung eines Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung neun Jahre hinsichtlich der noch bestehenden Restforderung keine Ansprüche mehr gegen den vermögenslosen Schuldner geltend gemacht.“ Der Schuldner darf dann darauf vertrauen, dass er in dieser Angelegenheit nicht mehr aus einem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis in Anspruch genommen wird (OLG München, 19 U 3364/06).

Unterschied zwischen Verwirkung und Verjährung

Nach Ablauf eines gesetzlich vorgegebenen Zeitraums, der Verjährungsfrist, darf der Schuldner die Leistung verweigern. Dafür muss er sich aber ausdrücklich auf die Einrede der Verjährung berufen.

Ein Anspruch verjährt allein durch Zeitablauf. Das ist der wesentliche Unterschied zur Verwirkung. Sie tritt nicht allein deswegen ein, weil viel Zeit vergangen ist, in der der Gläubiger nichts tut. Es bedarf vielmehr weiterer besonderer Umstände – dem oben beschriebenen Umstandsmoment.

Im Streitfall muss das Gericht die Verwirkung von Amts wegen berücksichtigen, weil sie eine sogenannte rechtsvernichtende Einwendung darstellt.

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Über den Autor

Franziska
Franziska L.

Seit 2017 verstärkt Franziska das Redaktionsteam von schuldnerberatung.de. In ihren Texten vermittelt sie Wissen rund um Schuldenabbau, Finanzen sowie Verbraucherschutz und beantwortet Fragen zur Insolvenz und Zwangsvollstreckung. Entsprechendes Fachwissen bringt sie aus ihrer juristischen Ausbildung mit.

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